Samstag, 9. Juni 2007

Das grosse Interview mit den Volksschülern aus Zweisimmen



Die 5. und 6. Klasse der Volksschule Zweisimmen, geleitet vom Lehrerteam Yvonne Zeller und Ueli Zeller (nicht verwandt) hat sich während der Landschulwoche im freiburgischen Enney ganz intensiv mit dem Thema Radrennsport auseinandergesetzt. Nicht nur haben die Kinder die An- und Rückreise per Velo absolviert, man war auch täglich auf den Bikes. Mit dem Film „Tour de France – Höllentour“ haben sich die Schülerinnen und Schüler auf ein Interview mit mir vorbereitet und mir viele und zum Teil recht knifflige Fragen gestellt! Aus Platzgründen haben wir Fragen zu persönlichen Daten und Angaben, die auf der Homepage zu lesen sind, hier nicht nochmals aufgeführt.

Wann hast Du mit dem Radrennsport angefangen? Dank den Trainings mit meinem Vater, der selber früher auch ein guter Elite-Amateur war, verfügte ich schon als Kind über eine gute Kondition. Als ich dann bei den ersten zwei Radrennen (Gstaad-Lauenensee und Adelboden-Geils) gut abgeschnitten hatte, war für mich klar dass ich Radrennfahrer werden wollte.

Welches sind Deine Hobbies? Kinofilme, Klettern, Autos, Bergwanderungen. Das Skifahren ist mir vertraglich verboten.

Hast Du Vorbilder, wer ist im Moment der Beste? Ich habe keine Vorbilder. Im Moment dürfte der Italiener Danilo die Luca der Stärkste sein.

Wieviele Stunden schläfst du und bist du vor den Rennen nervös? 9-10 Stunden Schlaf ist für mich wichtig. Je nach Rennen bin ich unterschiedlich nervös.

Wie hast du es mit dem Alkohol und dem Rauchen? Das geht nicht bei einem Spitzensportler und ist für mich kein Thema. Während der Rennsaison sieht man mich auch nicht im Ausgang.

Leistest du auch Militärdienst? Man hat mich bei der Aushebung (leider) ausgemustert, weil ich einen krummen Rücken hätte. Ich leiste Zivildienst.

Beschreibe uns Dein Rennvelo! Die Corratec-Maschine hat 20 Gänge. Sie kostet 11'000 bis 12'000 Franken. Das Trainingsrad ist 7,4 kg schwer, das Rennmodell wiegt nur 6,8 kg. Die Pneus sind 12mm breit und mit 7-9 Bar aufgepumpt. (Autopneus 2.5). Das kleine Gerät am Lenker misst alles, vom Puls bis zum Pedaldruck, alle Daten werden gespeichert und können am Computer ausgewertet werden.

Welche Rennen sind dir am besten in Erinnerung geblieben und welches Rennen würdest Du gerne gewinnen? Der GP-Tell 2004 (3. Rang), mit dem Ziel in meinem Wohnort Zweisimmen und vor einer grossen Menschenmenge war ein schönes Erlebnis. Gerne erinnere ich mich auch an die dreiwöchige Vuelta in Spanien oder an die Österreich-Rundfahrt, wo ich das Sprint-Trikot gewinnen konnte. Am liebsten würde ich einmal eine Tour de Suisse-Etappe gewinnen oder einmal Schweizermeister werden. Aber für mich zählen nicht nur die Siege, ich möchte später vor allem als ehrlicher und seriöser Sportler in Erinnerung bleiben.

Welches ist dein bevorzugtes Team? Mein jetziges Team Volksbank. In der Pro Tour wäre es Gerolsteiner. Beim Volksbank-Team ist die Stimmung in der Mannschaft gut und man hat sprachlich keine Probleme.

Sage uns etwas über die Trainings und die Renntage. 2006 habe ich über 90 Renntage absolviert und zusammen mit dem Training kam ich auf 29'000 km. Pro Woche trainiere ich 25-30 Stunden, vor allem auf dem Velo, auf der Rolle und im Kraftraum. Im Winter trainiere ich vor allem im warmen Spanien und mache hie und da auch etwas Langlaufsport.

Achtest Du auf die Ernährung? Drei Stunden vor einem Start essen wir eine richtige Mahlzeit. Vor schweren Rennen vor allem auch Teigwaren. Im Rennen verpflegen wir uns mit Schinkenbrötli, Nutella und Ballisto. Während dem Training haben wir keine Vorschriften, aber jeder schaut natürlich, dass er kein Fett ansetzt.

Warum rasiert ihr euch die Beine? Damit bei Stürzen die Verletzungen besser gepflegt werden können und keine Entzündungen wegen eingewachsenen Haaren enstehen und damit die Massagen angenehmer werden.

Hast Du einen Trainer und einen Mentaltrainer oder einen Manager? Einen Trainer ja. Er gibt mir vor allem Trainingsanweisungen und kontrolliert das auch. Einen Mentaltrainer habe ich nicht, obwohl das vielleicht nicht schlecht wäre. Man sagt, dass ich vor wichtigen Rennen immer etwas zu jammern habe… Mein Manager ist Rolf Huser von der Firma IMG. Er hat mir auch die Kontakte zu Phonak und zum Volksbank-Team vermittelt.

Wie ist eine Mannschaft organisiert? Es ist wie in einem gewöhnlichen Beruf. Es gibt die Chefs und die Mitarbeiter. Jeder hat seine klar definierte Aufgabe. Am Anfang der Tour de Suisse werden wir drei Kapitäne sein. Je nach der Form unterstützen dann alle den Besten, indem man ihn begleitet, ihm die Getränke reicht, „Löcher“ zufährt und und und… Dann gibt es Spezialisten für den Sprint und für die Berge. Mit meinen 60 kg werde ich wohl nie einen Massensprint gewinnen können. Weil ich mich gut erhole, bin ich eher ein Rundfahrtenspezialist. Jeder in der Mannschaft hat seinen Lohn und auch sein klares Pflichtenheft.

Gibt es eine Renntaktik? Oh ja, alles ist organisiert. Wir sind alle mit einem Kopfhörer ausgestattet und werden vom Teamchef im Auto informiert und können die Taktik auf das Rennen ausrichten. Am Anfang muss man möglichst Kraft sparen, um dann am Schluss zulegen zu können. Wenn es aber schlecht läuft, nimmt man schon mal den Kopfhörer aus dem Ohr und sagt, die Batterie sei futsch…

Was ist ein Wasserträger? Der oder die Wasserträger holen die Getränke aus dem Begleitauto und übergeben sie den Mannschaftskollegen. Drei Flaschen können in den Trikottaschen transportiert werden, daneben werden 5-6 Flaschen ins Trikot gesteckt. Die Wassertransporte sind streng und heikel. Wenn man bedenkt, dass jeder Fahrer pro Rennen etwa 6 Flaschen trinkt, sieht man, dass die Wasserträger einen strengen Job machen und wichtige Leute in der Mannschaft sind.

Wie schnell fährt ihr an den Rennen? Bergauf mit 20-30 kmh und talwärts 70-90 kmh. Ich hatte auch schon über 100 kmh auf dem Tacho. Im Durchschnitt sind die Etappen etwa 40-45 km schnell. Am Ende einer Etappe wird konstant mit über 50 kmh gefahren.

Uns tut nach zwei Tagen Velofahren das Füdli weh, wie ist das bei dir? Anfangs Jahr spürt man das schon auch, später kaum mehr. Wichtig ist ein guter Sattel und eine gute Bekleidung.

Hattest Du auch schon Stürze? Ja, aber gottseidank noch keine gravierende Verletzungen. Stürze gibt es immer wieder vor allem in Massensprints. Mein Rekord ist bei zwei Stürzen wegen starkem Regen innerhalb von drei Kilometern während einem Zeitfahren im letzten Jahr. Gerade vor einer Woche an der Bayern-Rundfahrt hat es mich erwischt. Ich kann euch meine lädierte Schulter und mein Knie und die Schürfungen an der Hand und an den Armen zeigen. Das tut weh, vor allem nachts, wenn die offenen Wunden an der Bettwäsche kleben.


Welches war dein schlimmster Unfall? Bei einem Sturz in Italien habe ich das Kinn nähen müssen. Weil der Arzt befürchtet hat, ich hätte eine Hirnerschütterung, hat man mich mit dem Krankenauto ins Spital transportiert. Den schlimmsten Unfall habe ich aber in meinem erlernten Beruf als Maurer erlebt, als ich mir mit der Trennscheibe beinahe den Arm abgeschnitten habe.


Hattest Du auch schon Defekte am Velo? Ja, einmal ist das Rad bei einem Sturz in zwei Teile auseinander gefallen. Daneben gibt es Reifenschäden, Kettenbrüche (in letzter Zeit leider etwas viele) und auch etwas Probleme mit der Schaltung.

Wie geht das mit der „Bislerei“ während dem Rennen? In einem sechsstündigen Rennen und mit der grossen Wasseraufnahme ist es normal, dass man einmal Pipi machen muss. Wir benützen dabei langsamere Rennphasen und erledigen das während der Fahrt, aber nicht gerade dort wo die Zuschauer stehen.

Manchmal sieht man, dass Fahrer ihre Angehörigen grüssen. Das ist möglich. Man informiert seine Konkurrenten, fährt etwas voraus und kann dann schnell ein paar Worte mit Verwandten oder Freunden wechseln.

Hast auch schon im Besenwagen Platz nehmen müssen? Ja das gab es auch schon. Meistens ist das erniedrigend, auch weil man dann schlecht gelaunt ist. Einmal habe ich in Belgien zwei Tage hintereinander aufgeben müssen. Der Besenwagen-Chauffeur hat mich am zweiten Tag schadenfreudig begrüsst: „Ach du bist auch schon wieder da, aber heute bist du immerhin ein paar Kilometer weiter gekommen“.

Wie ist das Verhältnis in einem Fahrerfeld? Es ist wie in einer grossen Familie. Man kennt sich und spricht miteinander. Auch während dem Rennen. Mit einzelnen Fahrern hat man mehr Kontakt, mit anderen weniger. Mit meinen Schweizer Alterskollegen Andreas Dietziker und Hubert Schwab habe ich am meisten Kontakt, oder auch mit den letztjährigen Phonak-Kollegen, Guidi, Hunter, usw.

Wohnt ihr während den Rennen in Hotels oder in Zelten? In Hotels, wobei diese nicht überall luxuriös sind. An grossen Rennen und auch während der Tour de Suisse steht uns ein moderner grosser Bus zur Verfügung. Dort können wir uns vor und nach dem Rennen aufhalten. Er ist mit Duschen und mit Ledersofas ausgerüstet.

Kommen wir zum Thema Doping. Wer sagt euch, was ihr verboten ist? Es gibt eine Broschüre, wo alle verbotenen Substanzen im Essen und in Medikamenten aufgeführt sind. Wenn man nicht sicher ist, gibt es eine Hotline, die man anrufen kann. Das funktioniert. Nach einem Sturz in Italien habe ich nachts um zwölf Uhr dort angerufen und gefragt, ob ich das mir unbekannte Medikament verwenden dürfe. Die Dame von der Hotline hat mich kurze Zeit später angerufen und gesagt alles sei ok.

Bist Du auch schon kontrolliert worden? Ja im letzten Jahr bei Phonak sechs Mal. In diesem Jahr erst einmal an der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt. Alle Proben waren negativ. Trotzdem ich immer ein gutes Gewissen habe, nervt mich das Warten auf den Bericht. Ich trete ganz klar ein für einen sauberen Sport. Der Radsport erlebt derzeit keine glückliche Phase. Für mich wäre es vielleicht besser, wenn meine Karriere erst in 5-10 Jahren beginnen würde!

Müssten die Kontrollen nicht verstärkt werden? Leider wird nicht überall mit den gleichen Ellen gemessen. Ich würde vorschlagen, dass die Schweizer z.B. die Italiener, die Deutschen die Spanier usw. kontrollieren. So wäre sichergestellt, dass alle mit dem gleichen Massstab gemessen werden.

Hast Du bemerkt, dass auch Phonak-Teamkollegen gedopt haben? Nein ich habe nichts mitbekommen, ich war ja auch nicht bei der Tour de France.

Wird es je möglich sein, im Radsport vom Doping wegzukommen? Ich hoffe dass es gelingt, davon wegzukommen, aber überall wo es um viel Geld geht – und nicht nur im Sport – wird leider getrickst. Es schockiert mich schon, wenn ich höre, wie ehemalige Sportler mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben. (Krankheiten, Organversagen, psychische Probleme).

Was denkst Du über Lance Armstrong und seine sieben Tour-Siege? Lance war sicher einer der besten Rennfahrer aller Zeiten, wie aber seine Siege zustande kamen, kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht dabei war. Sicher ist aber, dass er wie Jan Ullrich ein grosses Talent hatte. Nur mit Doping kann man aus einem Esel kein Rennpferd machen.

Zum Schluss: warst Du ein guter Schüler? Fragt euren Lehrer, Herr Zeller, er hat auch schon unsere Klasse unterrichtet. (Lehrer Ueli Zeller: Flöru war ein durchschnittlich guter Schüler, er hatte manchmal etwas Motivationsprobleme…